"Bin ich traumatisiert?"

Mit dieser Frage kommen ganz viele Menschen in die Psychotherapie. Doch was genau versteht man unter einem Trauma? Sieht man sich die offizielle Diagnose im ICD-10 an ("Posttraumatische Belastungsstörung"), steht dort so etwas wie „lebensbedrohliches Ereignis“ oder „Konfrontation mit einer Erfahrung katastrophalen Ausmaßes“. Diese Erfahrung führe dann, mitunter auch nach längerer Zeit, zu psychischen Problemen. Viele meiner PatientInnen können sich jedoch nicht bewusst an ein solches Ereignis erinnern, das die Symptome, unter denen sie leiden, erklären würde.

 

Traumatisierung kann man jedoch weitaus breiter verstehen. Ganz banal erklärt, bedeutet sie, dass man im Laufe des Lebens Verletzungen ausgesetzt war, die noch nicht gut verheilt sind.

 

Sinnvoll ist es, zwischen Schocktrauma und Entwicklungstrauma zu unterscheiden. Ein Schocktrauma ist jenes oben erwähnte wuchtige, zeitlich abgegrenzte Ereignis (Gewalterfahrung, Verkehrsunfall, ...), das zu den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung führen kann. Unter Entwicklungstrauma versteht man vor allem Beziehungs-Verletzungen während des eigenen Aufwachsens. Oft sind diese Verletzungen subtiler als bei einem Schocktrauma. Man musste sie jedoch über lange Zeiträume aushalten. Somit war man permanentem Hoch-Stress ausgesetzt, der sich vielleicht sogar "normal" anfühlte. In Folge fühlt man sich oft nirgendwo wirklich sicher. Relevante Fragen können lauten: Wie wurde mit mir als Baby, als Kleinkind, als Kind umgegangen? Wurden meine Bedürfnisse erkannt und gut beantwortet? Wurde ich wahrgenommen? Wie sicher war die Bindung zu meinen Bezugspersonen? Wurden meine Grenzen geachtet?

 

Diese frühen Wunden sind oft nicht so gut zugänglich, weil sehr frühe Prägungen sich im impliziten (quasi „unbewussten“) Gedächtnis abspeichern und so nicht bewusst abrufbar sind. Doch obwohl wir sie nicht bewusst erinnern, haben sie sehr viel Einfluss auf unser Leben. Sie bilden oft die Brille, durch die wir die Welt betrachten und haben Einfluss darauf, wie gut (oder auch nicht gut) wir uns wahrnehmen, regulieren und binden können. Entwicklungstraumata bringen das Nervensystem aus seiner Balance, was eine Vielzahl psychischer aber auch körperlicher Symptome mit sich bringen kann.

 

Wollen wir zu diesen Themen Zugang bekommen und unsere Muster (also unsere „Brille“) verändern, dann braucht es viel, viel Sicherheit in der Beziehung zu der Therapeutin UND den Einbezug des eigenen Körpers in die Therapie. Denn der Körper vergisst nicht! Dann können die Geister der Vergangenheit langsam aus ihrem Schatten treten und integriert werden, so dass wir schließlich freier und selbstbestimmter durchs Leben gehen.